Wenn sie nicht gerade Bühnen-Outfits für Showgrößen wie Björk oder Lady Gaga entwirft, findet man Iris van Herpen gerne mal im wissenschaftlichen Forschungszentrum CERN in Genf, wo sie neue Methoden für die Kreation ihrer avantgardistischen Haute-Couture-Stücke studiert. „Mir wurde irgendwann klar, dass sich meine Ideen nicht mehr alleine mit den Händen umsetzen lassen“, erklärt die niederländische Modedesignerin mit eigenem Atelier in Amsterdam. Also greift sie für ihre experimentellen und innovativen Entwürfe gerne auf digitale Techniken wie 3D-Drucker und Laserschneider zurück, die sie mit traditionellem Handwerk wie feinster Stickerei verknüpft. „In meiner Welt sehe ich keinen Unterschied zwischen Natur und Technologie. Die Stücke, die ich mache, bewegen sich zwischen beiden Welten, sie sind Kunst und Mode zugleich.“
Kein Wunder also, dass Museen wie das Metropolitan Museum of Art in New York, das Victoria & Albert Museum in London und das Palais de Tokyo in Paris sich um die Präsentation ihrer musisch-inspirierten Kollektionen reißen. Schon in ihrer Kindheit drückte sie ihre Fantasie in Malerei, Musik und Ballett-Tanz aus. Letzterer hat nach wie vor großen Einfluss auf ihr Schaffen. „Ich konzentriere mich bei meiner Arbeit sehr darauf, nach neuen Bewegungsformen, neuen Formen der Weiblichkeit zu suchen. Ich fokussiere mich auf den Körper, aber auch auf den Raum, der den Körper umgibt.“ Ihre einfallsreichen und ungewöhnlichen Kleidungsstücke beschreibt die Niederländerin selbst gerne als optische Täuschungen. Dürfte sie eine Zeitreise machen, würde sie Leonardo da Vinci besuchen. „Was ich an ihm liebe, ist seine uneingeschränkte Neugier und die Furchtlosigkeit, von einer Disziplin zur nächsten zu wechseln. Er hat sich nie auf nur eine beschränkt.“ Gleiches gilt für van Herpen, die nach ihrem Studium an der renommierten Akademie für Bildende Künste in Arnheim (ArtEZ) von angesehenen Designern wie Alexander McQueen und Claudy Jongstra unter die Fittiche genommen wurde, bevor sie 2007 ihr eigenes Label gründete. „Ich arbeite gerne mit Kreativen aus anderen Disziplinen zusammen, um neue Materialien und Techniken für meine Mode zu entwickeln.“
Da wird schon mal mit Metallspitzen und Eisenspänen hantiert, Silikon mit Glas kombiniert oder Celluloseacetat verarbeitet. Klingt eher nach Alchemie und einem Chemielabor als nach einem Fashion-Atelier. Durch die Symbiose mit Künstlern aller Art wie dem Choreografen Damien Jalet, der Sängerin Björk, dem Kinetiker Anthony Howe, dem transdisziplinären Architekten Philip Beesley oder der Computerkünstlerin Neri Oxman schafft es van Herpen immer wieder aufs Neue, die Grenzen der Mode zu durchdringen. Ihr neuester Coup, die aktuelle Frühjahr-Sommer-Linie „Roots of Rebirth“ ist ein Dialog zwischen der Natur und der Welt darunter. Die Designerin stützt sich dabei auf eine These aus dem Buch „Entangled Life“ des Wissenschaftlers Merlin Sheldrake, dass „Pilze das ökologische Bindegewebe sind, die lebendige Naht, durch die ein Großteil der Welt in Beziehung gesetzt wird“. Die 21 Looks sind von Wurzeln und Sporen inspiriert. Handgefaltete Mahagoni-Seide trifft auf Glas-Organza in einem Ombré aus Weiß und Bernstein. Wirklich eine andere Welt.
Header-Foto:
© Gio Staiano
Text:
Anke Gungl