Das nennt man wohl blickdicht. Rätselhaft, dieses Arrangement mit Blumentopf. Das Wesen daneben? Vielleicht eine Orange mit Gesicht? Leicht arrogant. Und ein Kopf, aufgepfropft auf ein Meeresgetier. Latent leidend. Skurril. Surreal. Paul Pretzers Werke wie das hier mit dem Titel „Functional Family“ von 2022 beschwören in ihrer Exzentrik Hieronimus Bosch.
Der malte am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance. Andere, wie „Mediterranean Methods“ (rechte Seite unten) aus dem letzten Jahr, erinnern an die kühle Distanz und Einsamkeit in Gemälden von Magritte. Aber vielleicht ist alles ganz anders gedacht, wenn frische Erdbeeren in einer Sardinenbüchse landen und das Ensemble den Titel „Unterschlupf“ erhält – übrigens alle drei eher kleine Formate mit zirka 30 auf 40 und 50 auf 60 Zentimetern. „Mir geht es sehr stark um eine Mehrdeutigkeit“, erklärt Pretzer, der 1981 im estländischen Paide geboren wurde, mit seinen Eltern später nach Deutschland emigrierte und in Kiel sowie in Dresden Kunst studierte. Sein künstlerisches OEuvre ist bemerkenswert, sein Output groß – und bildgewaltig. „Irgendwas zwischen eklig, bemitleidenswert und ein wenig komisch“ – hat Pretzer einmal über seine Arbeiten gesagt, die für ihn alles andere sein sollen als eindeutig: „Je mehrdeutiger, desto besser. Und je nachdem, wie der Betrachter geartet ist, pendelt das eher in die eine Richtung aus oder eben in die andere. Ich versuche bewusst, einen Zustand zu erreichen, bei dem man nicht weiß, worum es geht. Das könnte dieses oder jenes sein. Davon leben am Ende die Bilder.“ Das hört sich sehr konkret und rätselhaft zugleich an. Möchte der Maler mit Wahlheimat Barcelona (natürlich wegen der Liebe) uns mit seinen Ausführungen noch weiter verwirren? „Hhm.
Die Bilder werden ja auch so merkwürdig, weil ich sie formal und abstrakt denke. Manchmal merke ich beispielsweise, dass noch irgendetwas ins Bild muss, um die Komposition zu klären – in einer bestimmten Größe und einer bestimmten Farbe. Das ist sozusagen der erste Gedanke. Dann überlege ich, was das für ein Ding sein könnte. Und manchmal wird durch die Größe und die Farbe der Inhalt bestimmt. Dann denke ich mir irgendein Teil aus, das ins Format passt, aber inhaltlich irgendwie sehr seltsam ist. So entstehen »strange« Situationen – und die Leute fragen sich vielleicht: Wie kommt er denn jetzt dazu, das so zu kombinieren? Aber am Ende ist es eine formale und farbliche Entscheidung. Wenn es dann beispielsweise eine Apfelsine ist, dann kann die neben den anderen Dingen sehr befremdlich wirken.
So entstehen rätselhafte Welten.“ Eigentlich erklärt Pretzer damit einen Ansatz aus der abstrakten Malerei. Trotzdem stellt sich die Frage, wie viele Gegenstände der Maler im Kopf mit sich herumschleppen muss und woher sie kommen? „Das frage ich mich manchmal auch. Das sind für mich die besten Momente. Ich mache was, stehe selbst da und schüttle den Kopf. Und frage mich: Wie? Woher kam das jetzt? Doch ich glaube einfach auch an den Musenkuss und göttliche Eingebung. Etwas, das wir nicht kontrollieren können. An manchen Tagen bin ich voller Ideen und an anderen fällt mir gar nichts ein.
Aber wenn ich dann in ein Museum gehe, finde ich immer wieder Dinge, die mich inspirieren.“ Das mag für Pretzers Farbenpracht und Kompositionen gelten, doch seine Bildwanderungen zwischen Humor und Melancholie sind etwas anderem geschuldet. „Das Leben ist sehr facettenreich. Es ist wahnsinnig schön und gleichzeitig wahnsinnig brutal und grausam. Ich finde, das spiegelt sich – und sollte sich auch in der Kunst widerspiegeln. In diesem Spannungsfeld befinden sich meine Bilder. Manchmal ganz humorvoll und dann sehr krass. Die Kompositionen sind sehr streng und durchkomponiert – und doch ist da immer dieser absurd lustige Inhalt.
Dadurch ergibt sich aber auch Spannung, weil unterschiedliche Pole in einem Bild vereint sind.“ Und so entsteht eine magische Ausstrahlung, die polarisiert. Vor lauter Begeisterung erwarb ein Käufer sogar die Tapete hinter einem Werk, die für eine Messe-Installation entstanden war. Ein Ausschnitt des Bildes war dafür horizontal gespiegelt und axial aneinandergereiht worden. Pretzer freute sich über diese weitere „Irritation“, die ganz nach seinem Geschmack ist.
Die Tapete wurde extra nochmals reproduziertreproduziert – eine Analogie auch zu Pretzlers Werk, in dem bestimmte Motive ebenfalls wiederholt auftauchen. „Die Leute fragen: Was haben Sie denn zwischendurch gemacht?“ Dieses Phänomen bleibt ungeklärt, schließlich soll sie das Publikum im Kopf behalten und gegebenenfalls in neuem Zusammenhang betrachten. Wie schön, dass viele Werke Pretzers kleinformatig sind und so zu Hause noch ein Plätzchen finden. „Mein Professor in Dresden hat immer gesagt: »Das kleine Format schaut man mit dem Herzen an, das große Format mit dem Kopf.« Da hatte er irgendwie recht. Beim Kleinformat gibt es eine andere Intimität. Wenn es um die Gefühlsebene in der Malerei geht, ist es stärker. Man kann die Sachen kompakter präsentieren, und die Leute haben einen besseren Bezug dazu.“ Es sind echte Kabinettstückchen