Mitten im zentralmexikanischen Santiago de Querétaro beweist eine Privatbrauerei, dass gehobene Bierkultur, Hotellerie, Kulinarik und Gemeinschaft mühelos Hand in Hand gehen.
Ein Streifzug durch die kopfsteingepflasterten Straßen von Santiago de Querétaro ist wie eine historische Reise durch deren koloniale Vergangenheit. Etwa drei Autostunden von Mexiko-Stadt entfernt, im zentralmexikanischen Bundesstaat Querétaro, vermischt sich das Vermächtnis der indigenen Völker mit den kulturellen Einflüssen der spanischen Eroberer.
Kein Wunder, dass die UNESCO die malerische Altstadt mit den originalgetreuen Häusern und Kirchen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, den gepflegten Parks und den belebten Plazas 1996 zum Weltkulturerbe erklärte. Wirtschaftlich gesehen profitieren viele der knapp 1,5 Millionen Einwohner von der boomenden Automobil-, Luft- und Raumfahrt-Industrie, die den Standort vor einigen Jahren für sich entdeckt hat. Nicht zuletzt dank des eigenen Flughafens und des gut ausgebauten Autobahnnetzes.
Das Areal, das wir Ihnen hier und heute vorstellen, blickt auf eine lange Geschichte zurück, die mit der Gründung einer Mühle durch Diego de Tapia 1592 begann. Im selben Komplex rief der spanische Industrielle Cayetano Rubio 1846 die Textilfabrik „El Hércules“ ins Leben, aus der das gleichnamige Arbeiter-Viertel mit seiner bis heute tief verwurzelten Identität hervorging.
Das Unternehmen beschäftigte in seiner Blütezeit rund zehn Prozent der Bevölkerung von Querétaro. Als die Brüder Luis und Carlos González sich 2011 mit ihrer Brauerei „Compañía Cervecera Hércules“ in einem kleinen Teil der alten Fabrik niederließen, war das ursprünglich florierende Geschäft mit den edlen Textilien schon nicht mehr rentabel. Sie räumten 2019 endgültig zu Gunsten des Hopfens das Feld.
Mittlerweile beansprucht die Compañía Cervecera Hércules den Großteil des mehr als 40.000 Quadratmeter großen Areals. „Für die Gäste gibt es viel zu entdecken. In den ehemaligen Lagerräumen, Arbeiterunterkünften und Produktionshallen befinden sich Geschäfte, die von handwerklichen Kleinstproduzenten betrieben werden, sowie die Ateliers lokaler Kreativstudios wie El Urdido von Patricia Hirschfeld und mein Architekturbüro González Muchow Arquitectura (Goma)“, erzählt Carlos Gonzáles.
2023 eröffnete das „Hércules Hotel“, das er gemeinsam mit Hirschfeld umgestaltete, und mit dem ein weiterer Teil des weitläufigen Areals neu bespielt wird. Es umfasst ein Spa, einen Eventbereich mit Swimmingpool und Volleyballfeld, zwei Restaurants und ein Gästehaus mit 40 Zimmern inklusive eigenem Olivenhain, was zusammen eher an ein toskanisches Weingut erinnert als an die ehemalige Residenz eines großindustriellen Mühlenbesitzers aus dem 16. Jahrhundert. Den zentralen Innenhof dominiert die Marmorstatue des griechischen Halbgottes Herkules, ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert und Namensgeber, das wie viele weitere originale Details zum Inventar gehört.
„Wir wollten damit die Wurzeln von »El Hércules« mit der Zukunft in Einklang bringen. Wir gingen durch die Räume und stellten fest, dass jedes Zimmers bereits eine Seele besaß. Wir mussten lediglich die Möbel finden, die am besten dazu passten“, sagt Hirschfeld, die als Fotografin arbeitet und mit diesem Hotel ihr erstes Interior-Projekt realisierte. „Wir nahmen Kontakt zu Antiquitätenhändlern und Restauratoren auf und stießen schnell auf die richtigen Möbel.
Es schien, als hätten diese selbst entschieden, wo sie stehen sollten“, schließt sie. So finden sich in den Gästezimmern Design-Schätze aus den 1930er-Jahren bis in die Midcentury-Moderne. Darunter Stücke des amerikanischen Architekten Michael van Beuren, der 1937 nach Mexiko immigrierte und dort bald darauf sein Möbelunternehmen Domus gründete. Kennern dürfte ebenfalls die unverkennbare Handschrift des mexikanischen Modernisten Eugenio Escudero und des italienischen Architekten und Designers Gio Ponti ins Auge fallen, die einen Hauch von Glamour verströmen.
„Die größte Herausforderung bestand darin, eine ruhige Oase in einem städtischen Gebiet zu schaffen, ohne ihr zu viel von unserem Design aufzudrängen. Wir haben die jahrhundertealten Steinmauern und Wände bewusst kahl belassen, teilweise mit der abgeplatzten Farbe. Wir wollten, dass man sich das Leben während des goldenen Zeitalters der industriellen Revolution in Mexiko vorstellen kann“, ergänzt Gonzáles. Die Wände sind in blassen Pastelltönen gehalten, kräftige Farben werden sparsam eingesetzt. Viele Bereiche wirken bewusst unfertig und verleihen dem Haus eine würdevolle Ausstrahlung. „Wenn man in einem der Zimmer sitzt, hat man das Gefühl, dass die Stadt da draußen gar nicht existiert.“
Hirschfeld und Gonzáles war es wichtig, neue Elemente harmonisch und subtil in den Bestand zu integrieren. Anstatt die industrielle Vergangenheit des Geländes zu eliminieren, nutzt der Entwurf für das Hotel Hércules die ästhetischen und letztlich nachhaltigen Vorteile, die sich aus der historischen Substanz und Infrastruktur des bestehenden Standorts ergeben. „Bauen im Bestand ermöglicht nicht nur ein einzigartiges Design, das tief mit dem Ort verwurzelt ist, sondern zeigt auch, dass neu nicht immer gleichbedeutend mit gut ist. Wir wollten die Geschichte des Gebäudes hervorheben und dem Raum dennoch eine neue Nutzung zuordnen.“
So fand etwa die ehemalige Kardierhalle ihre neue Bestimmung im Open-Air-Bereich „Buenavista“, wo sich am Pool und auf der Terrasse leckere Snacks und Bier in entspannter Atmosphäre genießen lassen. Das Spa hingegen fand seinen Platz zwischen schweren Maschinen, die an die mehr als 200 Jahre andauernde Verarbeitung von Garnen, Fasern und Co. erinnern (rechte Seite). Ana Holschneider, die Ehefrau des Brauerei-Mitbegründers Luis Gonzáles, führt dieses Erbe mit ihrem Textilbrand Caralarga fort, dessen Atelier sich ebenfalls auf dem Gelände befindet. Zu ihrem Portfolio zählen Schmuck, Bekleidung, Accessoires und Einrichtungsgegenstände, die sie aus Fabrikabfällen herstellt. Letztere schmücken unter anderem die Räumlichkeiten des Hotels.
Das Herzstück des Areals ist und bleibt die Brauerei mit dem weitläufigen Biergarten. Die Compañía Cervecera Hércules ist eine unabhängige Privatbrauerei, die sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben hat, als die besten Biere des Landes zu brauen. So ließen es sich die Gebrüder Gonzáles nicht nehmen, mit Josh Brengle einen echten Brau-Profi an Land zu ziehen. Seit 2016 ist der aus Florida stammende Amerikaner an Bord. „Wir stellen pro Jahr zwischen 70 und 80 Sorten her und lassen uns von der lokalen Landwirtschaft und unseren kulinarischen Einflüssen hier in Mexiko inspirieren“, erzählt der Braumeister.
So entstehen neben den traditionellen Lagerbieren britische Session Ales, Real Ales und mehrere Biere mit spontaner Gärung, darunter ein mexikanisches Porter mit schwarzem Mais und ein Hibiskusbier. „Wir versuchen aber generell, uns am klassischen Biergeschmack zu orientieren“, sagt Brengle lachend. „Wir brauen eine Menge traditioneller europäischer Biersorten wie Lagerbiere, Pale Ales und Saisons.“
Die Bierkultur in Mexiko reicht zurück bis ins Jahr 1845, als der Schweizer Bernhard Bolgard und der aus Bayern stammende Friedrich Herzog in Mexiko-Stadt unabhängig voneinander mit dem Brauen begannen. Heute zählt Mexiko zu den größten Bierproduzenten weltweit. Vor allem Craft-Bier wird immer beliebter, und unabhängige Brauereien gibt es in vielen Teilen des Landes, allerdings sehr regional geprägt. „Die Bierkultur in Monterrey ist beispielsweise ganz anders als etwa in Chiapas. In unserem Teil des Landes öffnen sich die Menschen mehr und mehr für neue Stile.
Wir planen, unser Portfolio in den kommenden Jahren auf 35 Biere zu minimieren, dafür qualitativ noch hochwertiger zu werden“, stellt Brengle klar, für den natürliche Zutaten und Rohstoffe sowie handwerkliche Braukunst im Vordergrund stehen. „Wir orientieren uns so nah wie möglich an Authentizität und Ursprung eines jeden Stils. Selbst wenn wir Neues ausprobieren, achten wir darauf, dass die Basis erkennbar bleibt.“
Zu einem zünftigen Bier gehören natürlich auch kulinarische Leckerbissen, die in den beiden Restaurants des Hotels und im Biergarten serviert werden. Das Konzept aus Alt und Neu macht selbst vor der Kulinarik keinen Halt. „Wie bei unseren Bieren legen wir genauso bei unseren Speisen Wert auf mexikanische Küche nach traditionellen Rezepten ebenso wie auf neu interpretierte Klassiker, die sich hervorragend mit unserem Bier kombinieren lassen“, erklärt Gonzáles.
Im hoteleigenen Biergarten, unter Bäumen und Sonnensegeln, kommen bis zu 700 Gäste in den Genuss von mexikanisch und deutsch inspirierten Gerichten, serviert in einer einzigartigen Atmosphäre. Die Fläche unter freiem Himmel wird regelmäßig für Open-Air-Filmvorführungen und andere große Events genutzt, darunter ein gemeinsames Essen für ehemalige Textilfabrikarbeiter und ihre Familien, die das Hotel vor der Eröffnung besichtigen konnten. „Wir veranstalten wöchentlich Konzerte mit mexikanischen und internationalen Nischenbands und DJs, die wie wir Vinyl-Schallplatten und Retro lieben.“