Kunst aus Konfektionsabfällen: Wie die Rumänin Marion Baruch mit Textilresten aus der Modebranche einen immateriellen Raum schafft.
Es hat gedauert, bis Marion Baruch auch in Deutschland Einzelausstellungen bekam. Das Werk der 1929 in Rumänien geborenen Künstlerin ist hierzulande kaum bekannt. Doch nun würdigen gleich zwei Museen ihre Arbeit: Ab 6. Oktober 2024 ist in Krefeld die Ausstellung „Soziales Gewebe“ zu sehen. Parallel dazu zeigt der Neue Aachener Kunstverein die Werkschau „Widerstandsgeist“.
In den mittlerweile 95 Jahren ihres Lebens ist Marion Baruch viel widerfahren: Faschismus, Stalinismus, Kommunismus und Kapitalismus. Sie setzte sich mit Feminismus, den Ismen der Kunst und den Gesetzen des Kunstmarkts auseinander – was 1990 zur Gründung des Labels „Name Diffusion“ führte. Die Marke, im Handelsregister eingetragen, verbarg jahrzehntelang ihre wahre Identität. Erst im Alter begann Marion Baruch wieder Kunst unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen.
Aus Rumänien über Israel nach Italien
Als Tochter jüdisch-ungarischer Eltern in Timișoara geboren, wächst Baruch dreisprachig auf: Sie lernt Ungarisch, Deutsch und Rumänisch. 1949 beginnt die junge Frau ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Bukarest, um nur ein Jahr später nach Israel zu übersiedeln. Ein Stipendium der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem ermöglicht es ihr, den Repressionen des stalinistischen Regimes in ihrer Heimat zu entfliehen.
Sie studiert Malerei bei Mordecai Ardon, einem ehemaligen Bauhaus-Künstler und Schüler von Paul Klee. Erste Ausstellungen in Tel Aviv, die international Beachtung finden, bringen der Künstlerin ein weiteres Stipendium ein. Diesmal aus Italien, wo Marion Baruch ab 1954 die Accademia di Belle Arti in Rom besucht. Ihre ausdrucksstarken Bilder sorgen für Aufsehen, doch es soll nicht bei der Malerei bleiben. In den 60er-Jahren treten zunehmend Skulpturen in den Vordergrund, teilweise aus Stahl und so filigran wie Zeichnungen. Objekte wie der Teppich „Lorenz“ für Studio Gavina (1971) oder der Pouf „Ron Ron“ für Gufram (1972, Bild unten), sind Einrichtungsgegenstand und Pop Art zugleich.
Textilreste als Rohstoff für die Kunst
Ab 1993 wohnt Baruch in Paris, kehrt wegen nachlassender Sehkraft aber 2007 nach Italien zurück, wo sie bis heute in Gallarate bei Mailand lebt. Ihre körperlichen Einschränkungen führen dazu, dass Marion Baruch sich noch einmal neu erfindet: Sie nutzt nun Textilabfälle aus der italienischen Prêt-à-porter-Mode als Rohstoff für ihre Kunst. Der hohe Kontrast dunkler Stoffe vor hellem Grund erlaubt es ihr, raumfüllende Installationen zu erschaffen.
Ohne die Stoffreste zu zerschneiden oder zu bearbeiten, arrangiert sie poetische Mobiles daraus. „Sie sind nicht fest, noch sind sie ewig; sie erhalten neue Kraft, wenn eine Luftbewegung oder ein Sonnenstrahl sie kitzelt und dabei zum Leben erweckt“, erklärt die Künstlerin. Lücken und Auslassungen im Textil werden dabei zu zentralen Elementen: „Am Rande der Existenz und der Leere – einer dichten Leere, die mit einer eigenen Bedeutung gefüllt ist – entsteht ein anderer, ein freier und leichter Raum.“
Zwei Einzelausstellungen ab Oktober 2024
Besonders gut lässt sich diese späte Phase in der Aachener Ausstellung „Widerstandsgeist“ erleben, die ausschließlich Werke aus der letzten Dekade versammelt. Die Arbeiten verteilen sich dabei als ortsspezifische Installation über die Räume des Kunstvereins. Im Untergeschoss etwa hat die Künstlerin ihre raumgreifenden Trajektorien („Traiettorie“) persönlich an die Situation im NAK angepasst. Krefeld spannt einen größeren Bogen über fünf Jahrzehnte. Er beginnt bei Objekten der späten 1960er-Jahre, führt über Design und bildhauerische Arbeiten der 80er und 90er bis zu den Spätwerken aus Konfektionsabfällen.
Die Aachener Ausstellung im NAK läuft bis zum 24. November 2024. Besucher in Krefeld haben länger Zeit: „Marion Baruch. Soziales Gewebe“ (Haus Lange) hat bis zum 9. Februar 2025 geöffnet.