Die Aussagekraft von Architektur hängt auch mit ihrem kulturellen Hintergrund zusammen. Wie bei dieser Wallfahrtskapelle in Südmähren.
Jedes Baumaterial prägt die Architektur, die aus ihm entsteht. Holz, Stein, Ziegel, Stahl, Glas oder Beton erzielen unterschiedliche Wirkungen, je nachdem, wie sie eingesetzt werden. In der Kapelle der Schmerzensmutter von Nesvačilka kommt Licht als immaterielles Gestaltungsmerkmal hinzu. Die Gemeinde des südmährischen Dorfes wünschte sich mehr als ein Jahrhundert lang eine Kirche am Ortsrand. Der dafür vorgesehene Platz liegt erhöht auf einem Hügel, keine 20 Kilometer von Brünn, der zweitgrößten Stadt Tschechiens, entfernt.
Zwölf Jahre Bauzeit, finanziert durch Spenden
Im September 2024 war es endlich so weit: Nach zwölf Jahren Planungs- und Bauzeit konnte der erste Pilgergottesdienst im neuen Sakralbau stattfinden. Dass die Realisierung so lange dauerte, hängt mit der Finanzierung zusammen: Die gesamten Baukosten wurden durch Spenden aufgebracht, was das Projekt mehrfach verzögerte. Es gab den ausführenden Architekten vom Prager Studio RCNKSK aber auch Gelegenheit, ihr Konzept immer weiter zu verfeinern. Denn in der „Kapelle zur Schmerzhaften Muttergottes“, wie sie mit vollem Namen heißt, blieb nichts dem Zufall überlassen. Kein Detail ist nur Dekor. Alles hat einen tieferen Sinn oder dient – besser gesagt – dem höheren Zweck.
Architektur zwischen Himmel und Erde
Die zylindrische Kirche besteht aus zwei Hälften: einem „irdischen Teil“ aus gestampftem Lehmboden und fachmännisch behauenen Natursteinen. Sie bilden den Sockel. Darüber spannt sich ein „Himmel“ aus Holz, getragen von sieben Balken, die wie Strahlen nach oben führen. Sie stehen für die sieben Schmerzen Mariens, die der Gottesmutter im katholischen Glauben widerfuhren.
An der Spitze: eine Deckenöffnung mit einem Türmchen darüber, die den Kirchenraum beleuchtet. Kleine, vertikale Fenster lenken zudem Lichtstrahlen durch den Innenraum. In den Fenstern der Außenhülle sind verdeckt Lichtquellen angebracht, die das Innere auch nach Sonnenuntergang illuminieren und die Kapelle weithin als Wahrzeichen in der Landschaft sichtbar machen.
Holzbauweise in traditioneller Handwerksarbeit
Konzeptionell orientiert sich der Entwurf an den Bauprinzipien des Barocks und der Gotik, die ebenfalls mit Licht arbeiteten. Den Architekten ging es aber auch ums Handwerk: Sie wollten Traditionen wiederbeleben, die es während des Kommunismus in der Tschechoslowakei schwer hatten. Ihr Tragwerk kommt ohne Schrauben oder andere Metallbefestigungen aus. Es besteht nur aus Holz und altert so als Ganzes sowie viel langsamer als zeitgenössische Konstruktionen. Die Balken wurden von Hand mit Äxten behauen, die Bäume dafür entsprechend ihrer Höhe ausgesucht und im Winter geerntet, solange der Saft in den Wurzeln ruht. Das macht die Fasern dichter, haltbarer und widerstandsfähiger gegen Schädlinge. Noch so eine jahrhundertealte Erfahrung der Zimmerleute.
Die Arbeit von Architekt Jan Říčný ist somit nahezu abgeschlossen, die Außenanlage inklusive eines Kreuzwegs aus 14 Apfelbäumen angelegt. Es fehlt allerdings noch die Orgel im Innenraum, um das gesamte Bauwerk zum Klingen zu bringen. Sie soll ebenfalls mit Spenden finanziert werden.